Montag, September 11, 2006

9/11

Ich muss gestehen, dass ich bis heute früh kaum einen Gedanken daran verschwendet habe, dass wir den 11. September haben und dass der Jahrestag der Anschläge sich heute zum fünften Mal jährt. Ich hatte auf der Arbeit gut zu tun, und erst, als wir heute den Fernseher angemacht haben, wurde mir klar, welcher Tag heute ist. Ich habe damals auch gearbeitet, und plötzlich kam jemand in die Redaktion gestürzt, um zu sagen, dass ein Flugzeug ins World Trade Center geflogen sei. Ich hab das nicht wirklich wahrgenommen, vielleicht, weil ich gerade zu tun hatte, am Telefon oder abgelenkt war, keine Ahnung. Daran erinnere ich mich nicht mehr. Ich hatte Stress an dem Tag und hab nur versucht, meine Arbeit zu machen und mich nicht ablenken zu lassen. Einen Fernseher hatten wir nicht in der Redaktion, also hat irgendwer, der gerade etwas Luft hatte, im Internet nachgeschaut. Wir haben gerade noch erfahren, dass ein zweites Flugzeug in den zweiten Turm gekracht war, dann brachen sämtliche Server zusammen, es gab nur noch "Notausgaben" der Online-Auftritte der großen Zeitungen. Einer der Kollegen ging mittendrin nach Hause, noch bevor das zweite Flugzeug einschlug, weil er alles für einen Unfall gehalten und "nicht tragisch" genommen hat. Ich weiß nicht, wie, aber wir haben irgendwie die Seiten weiter produziert und funktioniert. Ich habe zwischendurch meiner Mutter gesimst, sie solle den Fernseher anmachen. Antwort.: "Hab ich schon. Das ist Krieg, oder?" Da hatte ich für einen kurzen Moment Angst, habe aber alles weggeschoben, weil wir arbeiten mussten. Ich weiß nicht, ob ich dankbar sein soll für die Fähigkeit, solche Dinge wegzuschieben und einfach funktionieren zu können. Irgendwann vergisst man nämlich, Dinge mal rauszulassen, wird zynisch oder stumpft total ab. Am Abend hab ich nur noch Fernsehen geschaut, sinnlos von Sender zu Sender geschaltet, wohl in der Hoffnung, irgendeiner zeigt einen blöden Liebesfilm, als sei nichts passiert. Es war aber was passiert, und ich musste es wieder und wieder sehen und kann es heute manchmal noch nicht fassen. Am nächsten Tag haben wir das ganze auf der lokalen Ebene in unserer Zeitung verarbeitet, und ich weiß noch, dass ich noch nie so schnell mit einer Umfrage fertig war. Alle, die sich sonst abwenden und mich dumm stehen lassen, wenn ich mit Block und Kamera ankomme, blieben stehen, wollten reden und über alles sprechen. Als sich einer meiner Ansprechpartner darüber ausließ, wie unprofessionell die Reporter gewesen seien, habe ich ihn allerdings stehenlassen. Ich konnte nicht glauben, dass sich jemand über das Stottern eines Reporters aufregt, wenn gerade Tausende Menschen zu Tode gekommen sind. Den Rest des Tages haben wir alle wieder funktioniert, wie immer. Seiten produziert, geschrieben, telefoniert, wie immer. Und genauso heute. Ich habe Texte produziert, während im Fernsehen junge Frauen gezeigt wurden, die die Namen der Opfer vorgelesen haben. Zwischendurch merkte ich, wie mir die Tränen kamen, also habe ich weggehört. Weil die Texte eben fertig werden mussten. Ich weiß immer noch nicht, ob das gut ist oder schlecht, dass ich das so ausblenden kann. Irgendwann bricht das ganze nämlich doch über einen herein. Zum Beispiel mitten in New York, in der kleinen Kirche, in der die Helfer am 11. September betreut wurden und die heute eher einem Museum gleicht. Da konnte ich nämlich plötzlich nicht mehr ausblenden und musste heulen. Was damals wirklich passiert ist, habe ich bis heute nicht begreifen können. Und wenn ich mir die Gedenkfeiern ansehe oder andere Blogeinträge lese, merke ich, dass es allen so geht.

2 Comments:

At 9/12/2006 08:39:00 AM, Anonymous Anonym said...

Mir ging es damals ähnlich. Es war das erste Mal, dass die Menschen durch die Medien ganz nah an einer großen Katastrophe dabei sein konnten. Manchmal frage ich mich, ob das so gut war.

Damals bin ich auch vom Arbeiten nach Hause gegangen. Erst zu einem Freund, dann nach Hause, dann zur Freundin.
Jedesmal wenn ich vor einen Fernseher kam wurde die Sache schlimmer.

Ich muss zugeben, gestern hatte ich andere Dinge zu tun als Reportagen über 9/11 zu schauen-brauche ich eigentlich auch nicht mehr. Das Aufknallen der Menschen, die aus den Fenstern gesprungen sind, auf den Boden muss ich nicht noch ein zweites Mal hören.

 
At 9/12/2006 12:13:00 PM, Blogger daniela said...

@ Jan

Seh ich auch so.
Habe mir vor ein paar Tagen die Doku zum Oliver Stone - Film angeguckt und habe erstmal wieder die Nase voll.

 

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